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Temporäre Mehrwertsteuersenkung: „Für den Getränkeeinzelhandel mehr Fluch als Segen!“

Am 1. Juli ist in Deutschland die Herabsetzung der Mehrwertsteuer für das nächste halbe Jahr in Kraft getreten. Während der vergünstigte Steuersatz die Kauflaune der Konsumenten beflügeln soll, ist die staatliche Maßnahme für viele Unternehmen aber auch mit großem Mehraufwand verbunden, wie „Frisch eingeschenkt“ im Gespräch dem Vorstand des Verbands des Deutschen Getränkeeinzelhandels (VDGE), Andreas Vogel, erfuhr.

Frisch eingeschenkt: Herr Vogel, gestern ist in Deutschland die Mehrwertsteuer herabgesetzt worden. Durch diese Maßnahme des Staates soll die Kauflust der Konsumenten und damit die Wirtschaft in der Corona-Krise angekurbelt werden. Wie bewerten Sie diese prinzipiell, und wie reagier(t)en Ihre Mitglieder darauf?

Andreas Vogel: Ich vertrete persönlich die Meinung, dass die politisch Verantwortlichen in dieser Ausnahmesituation, für deren Bewältigung es keine Blaupause gab, insgesamt sehr gut agiert haben! Deswegen möchte ich auch nicht grundsätzlich als Nörgler in Bezug auf das bisherige Krisenmanagement der Politik missverstanden werden. Es muss und darf allerdings auch Kritik erlaubt sein, und aus Sicht des VDGE sind die Verantwortlichen beim Konjunkturpaket mit der temporären MwSt.-Senkung eindeutig übers Ziel hinausgeschossen. Kein Konsument wird im Getränkefachmarkt eine Extrakiste Wasser oder Bier kaufen, nur weil diese nun 20 oder 30 Cent günstiger ist. Die gut gemeinte Absicht, den Konsum ankurbeln zu wollen, hätte man besser durch eine konkrete Förderung hochpreisiger Güter bzw. notleidender Branchen wie der Gastronomie anstreben sollen.

Fazit: Im Getränkefachmarkt ist die Maßnahme lediglich mit erheblichen Zusatzkosten verbunden, ein Anstieg des Konsums wird dagegen nicht erfolgen. Es darf also nicht verwundern, dass die dem VDGE angeschlossenen Getränkefachmarktbetreiber alles andere als glücklich über diese Entscheidung sind. Anders verhält es sich natürlich im Bereich der Gastronomie, wo die Mehrwertsteuersenkung im Falle der Nicht-Weitergabe an die Gäste zumindest eine gewisse Erleichterung für die leidgeprüften Gastronomen darstellen dürfte.

„Im Getränkefachmarkt ist die Maßnahme lediglich mit erheblichen Zusatzkosten verbunden, ein Anstieg des Konsums wird dagegen nicht erfolgen.“

Frisch eingeschenkt: Welche Herausforderungen, nötigen Maßnahmen und auch geschätzten Kosten (ggf. Kassenanpassungen, Änderungen der Beschilderung etc. oder auch B2B-Bereich beim Pfand) ergeben sich dadurch insbesondere für den Getränkeeinzelhandel?

Vogel: In Hinblick auf den B2B-Bereich können wir nur hoffen, dass die praktikable und von den Getränke-Verbänden angestrebte Stichtagsregelung Anwendung findet, damit weiterer, unnötiger Arbeitsaufwand vermieden wird. Ansonsten sind die notwendigen Maßnahmen im B2C-Bereich vielfältig und reichen von der Umstellung der Kassensoftware über Änderungen der Beschilderung bis hin zu ausführlichen Hinweistafeln bzw. Handzetteln für die notwendige Kommunikation der korrekten Weitergabe der MwSt.-Reduzierung dem Kunden gegenüber. In diesem Zusammenhang ist mir allerdings bislang nur ein größerer GAM-Betreiber bekannt, der die sogenannte „arbeitsintensive Komplettlösung“ umsetzen wird (sprich: Umstellung der Kassenpreise plus Änderung aller Preisschilder). Dieses Vorgehen ist dabei der Tatsache geschuldet, dass sich viele Objekte dieses Unternehmens in unmittelbarer Nachbarschaft zu großen Discountern befinden, die ja genau diese Handlungsoption umsetzen und da wollte man nachvollziehbarer Weise „nicht nachstehen“.

„Die notwendigen Maßnahmen reichen von der Umstellung der Kassensoftware über Änderungen der Beschilderung bis hin zu ausführlichen Hinweistafeln bzw. Handzetteln für die notwendige Kommunikation der korrekten Weitergabe der MwSt.-Reduzierung dem Kunden gegenüber.“

Frisch eingeschenkt: Auch wird darüber diskutiert, inwieweit die steuerliche Absenkung für neue Rabattschlachten des preisaggressiven LEH und der Discounter missbraucht werden könnte. Wie sehen Sie die Situation bezogen auf den Getränkebereich?

Vogel: Aufgrund der aktuellen Corona-Hotspots im Umfeld von Schlachthöfen dachte ich, die Zeit sei endlich reif dafür, dass der deutsche Konsument von seiner „Geiz-ist-geil“-Mentalität abrückt und Themen wie Nachhaltigkeit und Tierwohl bei seiner Kaufentscheidung verstärkt in den Vordergrund rücken. Nun sieht die Realität aber in der Tat so aus, dass die temporäre Absenkung der MwSt. um 3 Prozentpunkte leider von den großen Discountern gezielt dazu genutzt wird, den Preiskampf neu anzuheizen, um die in den letzten Jahren an Verbrauchermärkte verloren gegangenen Marktanteile wieder zurück zu gewinnen. Dabei kommen dann Maßnahmen wie „Vorzeitigkeit“ (Absenkung bereits vor dem 1. Juli) oder „Überkompensation“ (3 Prozent auf alles) zum Einsatz. Diesem unnötigen Preiswettbewerb werden sich auch die erfolgreichen GAM-Betreiber leider stellen müssen.

„Die temporäre Absenkung der MwSt. um 3 Prozentpunkte wird von den großen Discountern leider gezielt dazu genutzt , den Preiskampf neu anzuheizen.“

Frisch eingeschenkt: Inwieweit wird denn der Endverbraucher Preisvergleiche anstellen bzw. diese auch verstehen (Bsp. minus 3 Prozent auf Kassenbon, minus 2,5 Prozent bei Umstellung in der zentralen Kassenführung) bzw. die steuerlichen Begünstigungen im Getränkebereich honorieren?

Vogel: Hier ist in der Tat Raum für Irritationen gegeben, denn der klassische „Otto Normalverbraucher“ könnte tatsächlich bei der 1:1-Umsetzung der MwSt.-Reduktion (sprich 2,52 Prozent auf den Gesamtpreis) dem Irrglauben unterliegen, dass der Händler die medial stark kommunizierte „3 Prozent-Reduzierung“ nicht vollumfänglich weitergibt. Hier sind die Unternehmen gefragt, durch eine entsprechende Kommunikation für die notwendige Aufklärung zu sorgen und in Bezug auf unsere VDGE-Mitglieder kann ich versichern, dass gerade zu diesem Zweck auch eine intensive Vorarbeit geleistet wurde.

Frisch eingeschenkt: Die steuerliche Absenkung soll ein halbes Jahr lang gelten. Wie sehen Sie die Situation danach bei einer erneuten Anhebung des Steuersatzes und welche Herausforderungen kommen dann auf den GEH zu?

Vogel: Zum Start ins neue Jahr wird natürlich der gleiche administrative Aufwand auf die Getränkefachmärkte zukommen wie sechs Monate vorher, wobei sich zusätzlich die Frage stellt, wie die Verbraucher auf die dann „indirekte“ Preiserhöhung reagieren und welche Konsequenz die Discounter hieraus ziehen werden. Es bleibt dabei: Für den Getränkeeinzelhandel ist die temporäre Mehrwertsteuersenkung mehr Fluch als Segen!

Frisch eingeschenkt: Herr Vogel, wir bedanken uns für dieses Gespräch. 


Andreas Vogel, Vorstand des Verbandes des Deutschen Getränkeeinzelhandels (VDGE)